Mittwoch, 18. Dezember 2013

Verloren

Ich war verloren.
Ganz allein in diesem finsteren Loch. Keiner in meiner Nähe, der mir irgendwie helfen würde und meilenweit von jeder Zivilisation entfernt.
Es war ja meine eigene Schuld gewesen, daß ich nun hier saß und nicht wieder herauskam. War es das wirklich?
Man hatte meine Seele hungern lassen und ich war geschlagen worden. Man hatte mich wüst beschimpft und einen Taugenichts gescholten. Ich sei nichts wert und würde nie etwas zustande bringen, hatte man gesagt.
Talent hat er wohl - aber er versaut sich alles selbst durch diese ungezügelte Rebellion und sein unangepasstes Verhalten! Geh mir aus den Augen und sei endlich mal zu etwas nütze, hatte man geschrien.

Also ging ich. Und nach einer Weile begann ich zu laufen und im Laufen zu weinen. Ich wollte nie mehr nach Haus zurück! Düstere schwarze Wolken umhüllten mich und ließen sich auf meiner Schulter nieder.
Dann kam der tiefe Fall. Ich holperte und stolperte in dieses tiefe Loch im Wald hinein. Hängende Baumwurzeln sausten an mir vorüber und ich wusste: "Jetzt bist Du verloren!"

Der dunkle Nachthimmel war nur noch als kleiner tiefgrauer Fleck viele Meter über mir zu erkennen als ich mich umblickte - am Boden angelangt. Ich lebte noch, war aber tief im Morast eingesunken, welcher meinen Fall gebremst hatte. Mir war kalt und nach einer Weile fing ich an zu zittern und mit den Zähnen zu klappern.
"Halloooo", rief ich laut. ""Kann mich da draußen jemand hören?" - Tiefes Schweigen. Als hätte sogar der Wald, die Tiere und die ganze Menschheit sich von mir abgewendet. Ich weinte hemmungslos und immer heftiger je mehr ich meines zutiefst hilflosen und hoffnungslosen Zustands gewahr wurde.
"So sieht dann wohl das Ende aus", dachte ich mir. "Hier findet dich keiner mehr. Du wirst nun elend verrecken und niemand wird dich vermissen. Du warst doch sowieso schon immer irgendwie überflüssig, dachte ich mit Bitterkeit im Herzen."

Der Mond war aufgegangen und leuchtete sanft in mein Gefängnis hinein. Nach vielen vergeblichen Versuchen die krümelige und glitschige Wand aus Erde, Wurzeln und Steinen emporzuklimmen und total abgeschürften und zerschrammten Armen und Beinen saß ich dort in meinem Matsch in den ich meine Exkremente mit bloßen Händen verbuddelt hatte. Ich war über und über mit Dreck, Erde und stinkendem Matsch besudelt - selbst meine Haare klebten vor feuchtem Schmutz.
"Was grinst du so dämlich und hämisch Kalle Mond? Machst dich über einen Einsamen, Todgeweihten auch noch lustig?"
Hätte ich doch nur ein Messer bei mir um mir die Pulsadern zu durchtrennen - das wäre ein leichterer Tod als langsam zu erfrieren oder zu verdursten. Irgendwann schlief ich vor völliger Erschöpfung ein.

Die Morgendämmerung kam und ich wachte vor Kälte zitternd auf. "Grausame Sonne, Betrug"! gellte es innerlich in mir mit stummem Schrei.
Die Vögel zwitscherten vergnügt vor sich hin und die Drosseln sangen ihr wunderschönes Morgenlied. "Euch gehts gut", dachte ich, "Wenn ich doch auch ein Vogel wäre und aus diesem Loch einfach herausfliegen könnte". Aber mein Körper war zerschunden und fühlte sich an wie Blei. Selbst meine Seele war schwer wie blei und völlig verwüstet.

Die Sonne stieg langsam am Himmel auf und die Vögel verstummten. Man hörte nur noch weit enfernt einen Specht klopfen und ab und zu ein Rascheln im Laub. Und ganz weit in der Ferne ein kaum hörbares Geräusch. War es das Murmeln eines Baches? "Kann eigentlich nicht sein. Du bist ja viel zu tief in den Wald hineingelaufen und da war doch nirgends ein Bach oder Ähnliches - aber vielleicht ja in einer anderen Richtung?" Mal vestummte das Geräusch völlig und dann wurde es wieder etwas lauter, als ob es langsam näher kam. "Merkwürdig. Ein Bach oder Fluß der seine Richtung ändert?"

Die Schürfwunden an Armen und Beinen schmerzten sehr und begannen langsam sich zu entzünden. Kein Wunder bei dem Dreck! Mir war elend und ich hatte Durst.
Dann wieder dieses merkwürdige Geräusch des Wassers, daß langsam näher zu kommen schien. "Jetzt halluzinierst Du auch schon", stöhnte ich, während ich mich zusammenriss, um nicht an meinen Armen zu kratzen und zu reiben.
Plötzlich wurde mir klar, daß dieser merkwürdige Bach oder Fluß kein Wasser war. Es war eine Stimme! Aber wie seltsam klang ihr rufen? "Eindeutig eine menschliche Stimme", sagte ich zu mir selbst, "aber wie kann sie so rauschend und tief klingen - wie der Klang eines Wasserfalls, hmm... nein einer Brandung - oder hörte ich das Rauschen eines starken Regens?"
So langsam spinnst Du komplett, wahrscheinlich das Fieber" vermutete ich und fasste meine Stirn an. Sie fühlte sich kühl an.

Das seltsame Geräusch des rufenden Wassers verstummte und ich hörte Schritte, die auf meine Grube zukamen. Mein Magen krampfte sich vor Freude zusammen als plötzlich ein freundliches Gesicht oben am Rand des Loches erschien.
 Was waren das für Augen? Der Himmel und die Wolken spiegelten sich darin - sie waren wasserblau und wie zwei Fenster in eine andere Welt - eine andere Galaxie!
Der Mensch (war es ein Mensch?) kam mir unendlich bekannt vor und gleichzeitig so unbegreiflich fremd, wild und schön daß es meine Sinne betäubte.
Und dann sprach er zärtlich meinen Namen und diese Stimme...diese Stimme -
klang wie ein gewaltig brausendes Orchester und doch zugleich zart wie ein leise wehendes Lüftchen.
Es erfasste mich tief in meinem Inneren - diese Erscheinung - und ich zerfloss vor Tränen und Glück.

Langsam zog er mich aus der tiefen Grube heraus - nur womit? Ich schien auf dem Klang seiner Stimme empor zu schweben - angezogen von dem Sog seiner wasserblauen liebevollen Augen, getragen von den heilenden Wassern die aus ihm heraus zu strömen schienen - aus jeder Faser seines Seins...
Der Schmerz war entschwunden und vergessen - ich stand wieder auf trockenem und sicheren Boden - fühlte mich erfrischt und gestärkt - wollte ihn umarmen und ihm danken - wollte die ganze Welt umarmen.
Doch wo war er hingegangen? Noch war ich wie betäubt, drehte mich hin und her, suchte ihn mit meinen Blicken.. rief ihm nach: Wer bist Du? Wo willst du denn hin? Bleib doch bitte bei mir!

In der Ferne hörte ich das Geräusch seiner Stimme langsam und fröhlich entschwinden. Das Geräusch des Wassers, nein - der vielen Arten von Wasser, nein - das Geräusch der Musik eines galaktischen Orchesters... es wurde leiser und leiser.

Und ich war wieder allein. Ich schaute mir meine Hände an: Sie schienen wie von innen zu leuchten - ein weißes durchscheinendes Licht..
Der Wald um mich her atmete das selbe Licht ein und aus. Die nahe Lichtung war erfüllt von diesem sanften Licht. Alle Blumen und Pflanzen dort schienen mein Wissen um die seltsame Rettung und den unbeschreiblichen Retter zu teilen - alle strahlten den hellen Glanz seines durchscheinden Lichtes aus.

Alles was er berührt hatte troff von seinem heilenden Wasser und von seinem Licht.
Und ich wusste ich würde nicht ruhen, ich würde ihn suchen bis ich ihn wiedergefunden hätte. Und sei es bis ans Ende meiner Tage.
Ich würde ihn suchen - und sei es am anderen Ende der Welt!

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