Donnerstag, 25. Juni 2009

Der Gedankenproduzent

Er sitzt da in seinem zerschlissenen Sessel.
Es ist die einzige Sitzgelegenheit im Raum.

Die alten, ausgebleichten Tapeten hängen in Fetzen von der Wand.
Dahinter bröckelt der Putz und die Holzdielen liegen zum Teil bloß.

Das Gesicht des Menschen ist mittelalt - vielleicht fünfzig oder sechzig.
Es färbt sich gelblich grau mit eingefallenen in sich gekehrten dunkel geränderten Augen.

Ein boshaftes Lächeln umquält den dünnen Mund. Leise und ganz leicht.
Die Haut schwitzt. Es ist heiß in Chicago.
Doch der Mann scheint die Schweißperlen, die in kleinen Rinnsalen auf Augen und Wangen fließen nicht zu bemerken.

Er ist völlig konzentriert und in sich gekehrt - Die Augen blicken ins Leere.
Über ihm kreist kläglich der müde Rest eines einstmals stolzen Ventilators. Ab und zu bewegt sich eins der spärlichen dünnen Haare des Mannes im leichten Luftzug.

Der Raum ist vermüllt. Überall liegen zusammengeknüllte Zeitungsreste, leere Papiertüten und Essensreste auf dem Boden, dem wackeligen Tisch und der ausgebleichten Anrichte.
Alle Möbelstücke wirken ausgebleicht und staubig. Das einzige Bild an der Wand hängt schief.

Schief hängt auch der Kopf, seltsam entspannt, während die flackernden Augen das einzige Lebenszeichen des Seltsamen von sich geben.
Diese Augen - trübe wie Schmutzwasser und dennoch von einem fahlen Licht erhellt.
Die Kamera zoomt sich langsam näher und näher an diese Augen heran. Schließlich ist nur noch ein einziges Auge im Objektiv zu sehen - näher und näher - nur noch das schwarze Loch der Pupille und dann....

Hinein in einen Strom voller Licht und Leben - ein summendes, brummendes Universum von Elektrizität, Farben und seltsam fließenden Formen. Der ganze Strom fließt zu einer riesigen Matrix voller unverständlicher Zeichen und Symbole.

Davor steht ein Wissenschaftler im weißen Kittel - jedenfalls hält man ihn sofort dafür.
Lächelnd beantwortet er die Fragen der angereisten Gäste und Zuschauer:
"Jawohl meine Damen und Herren, Mr. Smith ist der derzeitige Gedankenproduzent - zuständig für Amerika, Europa und die westliche Welt."

"Und was für Gedanken produziert er so?" fragt ein emsiger Mann mit Presseausweis am Revers.

"Krieg und Frieden, Rassenhass und religiöse Gedanken hauptsächlich. Aber die Wissenschaftler und Philosophen werden auch bedient!"

"Und was ist mit den Medien?" fragt der Reporter weiter.

"Ach die Medien denken doch nicht wirklich selber, die Berichten doch nur und kauen die Gedanken der Künstler, Intellektuellen und Politiker wieder" lächelt der Mann im weißen Kittel.

"Und Sie wollen allen ernstes behaupten, dieser ominöse Mr. Smith produziert die ganzen wichtigen und entscheidenden Gedanken der gesamten westlichen Welt? Für Millionen von Menschen?"

"Eine Zwischenfrage bitte!" ruft eine hektische Dame mit angekautem Kugelschreiber in der Hand. (Laptops und Aufzeichnungsgeräte sind hier nicht erlaubt)
"Und wie -bitteschön- kommen die Gedanken an die Addressaten? Das ist doch völlig unmöglich!"

"Nein, nein Frau Piontek, kein Problem für unsere Matrix - wir arbeiten mit Subraumwellen im ultraflachen Frequenzbereich. So haben wir unbemerkten Zugang in jedes Gehirn auf der Welt - und jeder Mensch glaubt doch wirklich er denke seine eigenen Gedanken."
Bei diesem Satz strahlen die Augen des Wissenschaftlers blau und fröhlich. Er doziert weiter:

"Das heißt allerdings nun nicht, daß alle Gehirne gleichgeschaltet wären - viel zu uneffektiv und Fehleranfällig. Es kommt ganz auf die individuellen Fähigkeiten und die Kapazität des Einzelnen an. Jeder ist halt nur empfänglich für die Art Gedanken, die er auch verarbeiten kann. Aber so bleibt die Illusion der Individualität des Einzelnen völlig intakt. Keine Sau bemerkt, daß er gar nicht selber denkt, sondern quasi nur gedacht wird!" erklärt der Wissenschaftler mit triumphierender Miene.

"Und ist dieser ominöse Mr. Smith überhaupt ein Mensch...oder was ist dieses... Ding?" fragt eine dunkelhaarige Frau mit verrauchter Stimme.

"Tut mir aufrichtig Leid", antwortet der Mann im weißen Kittel freundlich, "Darüber darf ich keine Auskunft geben - Geschäftsgeheimnis!"
Zufrieden blickt der Weißkittel in die Runde. "Sonst noch Fragen?"

Der Gedankenproduzent rekelt sich im Sessel und lächelt leise in sich hinein. Er hat gerade eine großartige Idee an die Börsenwelt geschickt.

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